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Veränderung

Verändert sich etwas oder verändere ich mich, wenn sich etwas ändert?

Wenn unser Leben sich verändert, geraten wir außer Tritt. Eine kleine Verunsicherung, ein kleiner Sidestep. Alles anders! Plötzlich hätten wir es wieder gern so wie früher, auch wenn wir früher ganz schön eingespannt waren. Wie oft würden wir gerne das Rad der Zeit zurückdrehen. Aber die Worte sind gesprochen, die Tür ist zugeschlagen, die Chance ist vorbei. Oder: Die Kinder sind aus dem Haus, das Haus ist verkauft und die Ziffern auf dem Pensionsbescheid sind so lächerlich, geradezu entwürdigend. Sie sagen nichts über die Intensität unseres Engagements aus. Sie sagen uns lediglich, dass man uns für dumm verkauft hat. Mit unserem Einverständnis noch dazu! Und dann, ganz langsam, wird das Neue doch wieder zum Gewohnten. Und in diesem Gewohnten bleiben wir doch wieder die Alten. Das ist bis zu einem gewissen Grade erschreckend.

Als ich begonnen habe, das neue Lebensgefühl zu entdecken, entstanden Sehnsuchtsorte in mir, mit denen ich nicht gerechnet hätte. Plötzlich war es an der Zeit. Und wo ich mir doch so viele Jahre nichts mehr gewünscht hatte, als Zeit zu haben, geschah nun folgendes: Ich wusste mit meiner Zeit nichts anzufangen. Zu sehr war ich meinen Tagesablauf gewohnt. Ich war es gewohnt, schon vor sechs Uhr aufzustehen und nützliche Handreichungen zu verrichten. In meinem neuen Umfeld war es nicht nur sinnlos, so früh aufzustehen. Nein. Es gab auch nichts Nützliches, was ich um diese Stunde hätte tun können. Und da war sie mit einem Mal. Die Zeit, die ich nie hatte. Und was jetzt?

Zuerst versuchte ich es mit Laufen. Das Laufen hat mir auf die Sprünge geholfen. Eigentlich habe ich aus Verzweiflung zu laufen begonnen. Um meine Durchschlafstörungen zu bekämpfen. Das hat gut funktioniert. Um zwei Uhr nachts zu laufen, das hatte viele Vorteile. Erstens sah mich niemand. Das heißt, ich trug wohl eine Warnweste, um nicht von irgendwelchen Discoheimkehrenden oder nächtlichen Paketzustelldiensten überfahren zu werden, aber anfänglich wollte ich nicht gesehen werden. Als das mit dem Schlafen wieder klappte, verlegte ich mich aufs Laufen in meiner Freizeit. Da lief ich aber schon ganz gut, musste nicht mehr alle paar Minuten schnaufend stehenbleiben, oder peinliche Gehpausen einlegen. Auch haben sich meine Nachbarn wohl daran gewöhnt, dass ich in Leggins und bunten Schuhen um die Ecke biege. Sogar meine Kinder und Enkelkinder haben meinen Spleen zur Kenntnis genommen. „Oma rennt!“

Meine Lauferfahrungen in Italien waren anders. Hier an der Küste kann ich nur am Meer entlang laufen. Die ideale Runde habe ich noch nicht gefunden. Dieselbe Strecke hin und zurückzulaufen passt nicht zu meinen bisherigen Vorstellungen von Laufen. Ich will im Kreis rennen, wiedererkennbare, ansprechende Runden.

Was fange ich also mit mir an, so früh am Morgen, wenn absolut niemand mehr in die Schule zu schicken ist, meine Therapeutin mir geraten hat, keine Mails vor acht Uhr zu beantworten und die Laufstrecke sich nicht zu einem Kreis schließen will? Das kann doch nicht so schwer sein. Endlich! Endlich Zeit zum Lesen. Ich lese auf Italienisch, damit sich meine Sprachkenntnisse verbessern, weil ich zwanghaft nutzenorientiert bin. Allein der Gedanke macht mir Stress. Ich muss eine Vokabelliste führen.

Also Tagebuch schreiben. Aber wie soll man morgens gut Tagebuch schreiben? Der gestrige Tag ist längst vorüber und der neue hat noch nicht begonnen. Gestern hat mich zum Beispiel jemand im Kreisverkehr angefahren. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs und Aladin mit einem Ducato-Bus. Wir mussten die Polizei holen. Nicht so sehr, weil etwas passiert war, aber alle Beteiligten konnten nicht aufhören zu brüllen, gestikulierend wie wild ihr Schicksal zu beklagen. Keine sehr angenehme Erinnerung. Und was ich mit dem heutigen Tag anstellen werde, kann ich mir beim besten Willen noch nicht vorstellen. Es hat sich erwiesen, dass es praktisch so etwas wie eine Frustrationsgarantie gibt, wenn ich plane, denn jetzt ticken die Uhren anders. Erfolg ist hier, wenn man zu Mittag ein Sonnenbankerl ergattert, am besten im alten Hafen, oder sonst irgendwo mit gutem Ausblick und möglichst windgeschützt. Aber auch darin bin ich noch nicht wirklich gut.

In meinem Perfektionierungswahn bleibe ich also die Alte. Aber die Sache ist nicht ganz aussichtslos, denn mittlerweile schaffe ich es schon, bis nach acht zu schlafen, dann fein zu frühstücken, mich an den Laptop zu setzen und ihn rechtzeitig auszuschalten, wenn sich die Frage stellt: Na, welches Bankerl nehmen wir denn heute?

Nach der Kur ist vor der Kur

Wie lang ist meine Kur schon her? Gefühlt: ein halbes Jahrhundert. Die Arbeit hat mich fest im Griff. Effizienz im Tun und Denken fordert nicht nur die deutsche Noch-Kanzlerin. Ich bin am Limit! Sicher. Ich bin immer noch meines eigenen Glückes Schmiedin, aber bei diesen Temperaturen, unter diesen Arbeitsbedingungen, in Zeiten wie diesen, ist ein Transpirationsgrad erreicht, der einen nahenden Herzstillstand vermuten lässt.

Was aber ist aus den von mir beobachteten Kurgastcharakteren geworden?

Die Ehrgeizigen: Sie sind so wie ich, ohne zeitlichen Aufschub zurückgekehrt, an ihren angestammten Arbeitsplatz, gewillt, doppelt und mehr zu leisten, um die durch die Kur versäumten Arbeitsstunden wieder einzubringen. Ihre BürokollegInnen haben der Ehrgeizigen Kurheimkehr nicht ganz uneigennützig gefeiert. Nun lässt sich Unliebsames wieder auf dem Schreibtisch der von der Kur Erholten türmen.

Die Flüchtenden: Für sie hat alles Kurungemach ein Ende gefunden, um den Preis, dass nun wieder vor Ort geleistet werden soll. Sie haben es immer schon gewusst und fühlen sich nun auch bestätigt: Ihre Flucht heißt Leben und findet so schnell kein Ende.

Die BesserwisserInnen: Sie haben den Kurerfolg eingefahren und wissen nun, welche Kur besser für sie geeignet gewesen wäre. Bei der Besprechung des Kurbefundes mit dem Hausarzt / der Hausärztin bringen sie ihre Erkenntnisse vor und füllen vor Ort einen neuen Kurantrag aus. Sollte eine Folgekur nicht möglich sein, begeben sie sich unverzüglich in eine zusätzliche Therapie oder beantragen eine Reha.

Die DurchschummlerInnen: Sie tun so, als wären sie gar nie auf Kur gewesen. Ihr Gesundheitszustand hat sich tatsächlich nicht verändert. Sie gehen jetzt wieder so früh zu Bett, wie es eigentlich die Kurvorschriften von ihnen verlangt hätten. Pünktlich sind sie weiterhin nur zu Dienstschluss. Sie hören sich am Arbeitsplatz um, wer wo wann auf Kur war, sind aber vorerst einmal froh, wieder ihren alten Gewohnheiten nachgehen zu können: Zucker zum Kaffee, ab und zu ein Zigarettchen, Minijägermeister in der Handtasche.

Die Wichtigen: Sie kommen als Stars von der Kur zurück und erzählen am Arbeitsplatz ausführlich davon, wie anstrengend so eine Kur eigentlich ist. Es entsteht der Eindruck, sie hätten in Tokyo an den Olympischen Spielen teilgenommen. Sie gehen allen im Büro mit dem auf der Kur Gelernten auf die Nerven.

Für mich gestalten sich die Rückverrechnung und Kostenübernahme mit der Zusatzversicherung schwierig. Wahrscheinlich ist es am besten, jetzt erst einmal auf Urlaub zu fahren, bevor der Corona-Vorhang wieder zugeht.